‚Ich bin 58. Und ich habe die Kraft der zwei Herzen.‘

Da gab es doch einmal diese Werbung? Ich glaube, sie läuft schon lange nicht mehr.
Leider trifft das mit den Herzen bei mir nicht zu.

Was aber zutrifft: Mir läuft die Zeit davon, und das nicht nur körperlich, sondern auch gefühlt.
Selbst in meinem Freundeskreis habe ich Schwierigkeiten, über dieses Thema zu sprechen, auch wenn es so offensichtlich ist. Denn wer pappt sich schon gerne ein Ablaufdatum auf die Stirn oder gibt zu, dass er nicht mehr gefragt ist?

 

Der Status quo zu meinem Alter

 

Mit meinen mittlerweile 58 Jahren arbeite ich, seitdem ich die Uni verlassen habe. Ausbildung, dann Berufstätigkeit und Studium mit gleichzeitiger Teilzeitarbeit, nach dem Studium das Vollzeitprogramm im Kosmetikkonzern.
14 Wochen war ich vor und nach der Geburt meines Sohnes in 2004 mal eben kurz weg, seitdem arbeite ich wieder. Freiberuflich seit 2008, bedingt durch den Umzug ins Ausland.
Krankheitstage: 0. Wer selbstständig ist und ein Kind hat, wird nicht krank. Selbst Corona hat mich genau einen Tag hingestreckt, nachgearbeitet hab ich am Wochenende. Das kann man nur, wenn man komplett im Homeoffice ist. 

Daran dürfte nichts Außergewöhnliches sein, vermutlich eine Geschichte wie zigtausende andere auch.

 

Mein Arbeits- und Privatleben der letzten Jahrzehnte

 

Ich arbeite sehr gerne! Und zwar genauso und genau das, was ich auch gerade mache, nämlich in den Bereichen Kundenservice/Community-Management und Korrektorat. Meine Arbeitszeit ist unkonventionell: Ich lese etwa Korrektur, wenn ich im Urlaub bin, und beantworte Kundenanfragen oder Posts in der Community abends oder mal am Wochenende.
Das ist für mich normal, und ich empfinde es oft nicht einmal als Arbeit. Da ich meine Jobs gerne mache, fließt alles ineinander über.
Und ich kann mir gar nicht vorstellen, einmal NICHT mehr zu arbeiten! 

Neben 19 Jahren Kindererziehung mit allen Feinheiten der überwiegenden Alleinerziehung halte ich ‚Haus und Hof‘ in Schuss. Das ‚Rückenfreihalten‘ zeichnet mich außerdem aus – meine Grabsteininschrift.

Alles zusammen mehr als eine Vollzeit-Tätigkeit, das wird mir jede berufstätige Mutter bestätigen.

 

Die aktuellen Herausforderungen

 

Familiäre Umstände bringen es nun aber mit sich, dass ich genau jetzt – also mit 58 – beruflich und finanziell durchstarten müsste. Meine ‚Einkünfte sind nicht genügend‚, eigentlich sollte ich ‚doch für meinen Lebensunterhalt allein aufkommen‘ können.

Die Herausforderung: Ich bin 58 und habe leider NICHT die Kraft der zwei Herzen.

Zwei entscheidende Dinge scheinen es erfolgreich zu verhindern, dass meine Karriere (noch?) nicht so richtig in Schwung kommt:

 

a. mein Alter

 

Meine These: Mit 58 Jahren bin ich zu alt.

Seit fast 5 Jahren schreibe ich Bewerbungen für eine Anstellungstätigkeit in Teilzeit, als Ergänzung zu meinen selbstständigen Arbeiten. Das eine Vorstellungsgespräch, das ich in dieser Zeit hatte, war zwar erfolgreich, der Job bestand jedoch aus mehr als 70 % Telefonakquise und wurde ausschließlich auf Provisionsbasis bezahlt. Ich bin kein guter Verkäufer, schon gar nicht am Telefon. Also bedauerlicherweise nicht mein Job.

Meine Bewerbungen sind flüssig, dem Ton und der Sache angepasst, darüber hinaus antworte ich nur auf Ausschreibungen, bei denen ich sicher bin, dass es passen könnte. Alles andere wäre herausgeworfene Zeit für die Beteiligten.

Woran liegt es also, dass ich so wenig Antworten bekomme?
Mein Mann hat einmal gesagt, ich solle das Geburtsdatum weglassen und schauen, was dann passiert. Das war schon vor 4 Jahren. Nun ergibt das keinen Sinn, wenn ich dem Lebenslauf ein Foto anhänge, denn auch gute Retusche zaubert keine 20 Jahre weg.

Hier in Österreich KANN ich in dreieinhalb Jahren in Rente gehen, während ich beispielsweise in Deutschland noch neun Jahre arbeiten dürfte. DARF, denn Remote kann man auch von Österreich in Deutschland arbeiten.
Da liegt die Vermutung nahe, dass der Blick auf das Geburtsdatum den Klick auf Ablage P (löschen) beschleunigt. Begründete Absagen? Fehlanzeige.

Wo ist also der Fachkräftemangel? Vermutlich bezieht er sich auf andere Berufsfelder. Natürlich bin ich teurer als ein Berufsanfänger, aber ich bringe neben Ausbildung und Studium viel Erfahrung, Wissen, Organisationstalent und Kompetenz mit, die ein Unternehmen prima für sich nutzen könnte.

 

b. meine langjährige Selbstständigkeit

 

Meine These: Personaler stellen nicht gerne langjährige Selbstständige ein.

Seit 2008 bin ich selbstständig, arbeite also nicht mehr in einem Angestelltenverhältnis. Außer in der Familie, aber das bringt finanziell leider nichts und für die Rente noch viel weniger.

Ich vermute, dass die lange Selbstständigkeit ein Grund dafür ist, für ein Angestelltenverhältnis nicht ernsthaft in Betracht gezogen zu werden: Selbstständige haben sehr individuelle und dadurch auch flexible Arbeitszeiten und sind Hierarchien nicht mehr gewöhnt. (Hierarchien sind hier in Österreich ein Thema.) Andererseits bringen sie meist ein hohes Maß an Organisationsfähigkeit und Hartnäckigkeit mit, ebenso den berühmten Blick über den Tellerrand.

Haben potenzielle Arbeitgeber Angst davor, dass die Integration und Unterordnung nicht gelingen, dass eigenes Mitdenken, vielleicht sogar das Infragestellen von Maßnahmen und Ansprüche der ehemals Selbstständigen das verhindern?

Für mich kann ich festhalten, dass ich in meiner Selbstständigkeit extrem viel gelernt und gerade in den vergangenen Jahren viele Skills erworben habe, die ich natürlich gerne einbringe. 

 

Das Gefühl von Todesspirale

Und das ist sie nun, meine Situation: Ich arbeite sehr gerne und MÖCHTE auch mehr arbeiten, nicht nur, aber auch, um mehr Geld zu verdienen.
Mir läuft jedoch die Zeit davon.
Je länger es dauert, desto schwieriger scheint es, eine passende Teilzeitstelle zu finden. Es kommt mir vor wie eine Spirale, die sich nach innen dreht und irgendwann zum Mittelpunkt kommt, an dem es nicht mehr weitergeht.

Das ist lähmend und frustrierend und lässt mich nicht gerade mit Enthusiasmus auf die vor mir liegenden Jahre schauen. Vielleicht kann ich es so beschreiben: Es staut sich körperlich und auch in meiner Seele ein Druck auf, den ich immer schwerer aushalten kann.
Und in meinem Magen hat sich schon lange ein dicker Knoten gebildet, der sich jetzt auch gesundheitlich bemerkbar macht.

 

Mein Plan B

 

In meinen Bewerbungsdateien liegt der Entwurf einer Annonce für das hiesige Regionalblatt, in der ich mich für haushaltsnahe Dienstleistungen (Aufräumen, Putzen, Einkaufen …) anbiete. Der Haken: Wenn ich diese Einnahmen versteuere und Sozialabgaben darauf zahle, liege ich bei knapp der Hälfte des Mindestlohns. Denn die Entlohnung für solche Tätigkeiten ist im unteren Bereich anzusiedeln. Davon zahlt man keine Miete. Es beißt sich die Katze in den Schwanz, wie man es auch dreht und wendet.


Lichtblick: Heute habe ich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen. Ich freue mich übers Daumendrücken!

Wie es weitergeht? Ich halte dich auf dem Laufenden!



Übrigens ist mir heute ein Artikel meiner Mit-Bloggista Esther Nogler aus unserer Community The Content Society ins Auge gefallen, der perfekt zum Thema passt:

Ein erfülltes Leben ohne Reue: 3 Fragen, die vieles verändern können

Lies mal rein! Theoretisch kennen wir sie alle, diese Fragen, aber wenden wir sie praktisch an?