Es gibt Menschen, die triggert das Wort „Schade“ in ganz bestimmten Kontexten. Mich auch, so viel kann ich verraten. Ich stelle mir immer das Gesicht vor, das der oder die Schreibende in dem Moment hatte, bedauernd, Kopf auf die Seite gelegt, Lippen zu einem Strich zusammengepresst … AAAAAH!
Was mich in bestimmten Zusammenhängen ganz genauso triggert, sind diese beiden Sprüche:
„Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels.“ und „Alles ist/wird gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“
WTF!?!? (Boh, wie gerne, wollte ich das einmal in einem Blogartikel schreiben … 🤭)
Diese Sprüche habe ich zum Jahresanfang merkwürdigerweise öfter als üblich gehört, gar nicht einmal auf mein Leben bezogen, aber dennoch empfinde ich gerade einen Drang, stellvertretend für Betroffene einmal meine Eindrücke dazu in die Welt zu entlassen.
Ich bin also in mich gegangen und habe mir Situationen aus meinen letzten Jahren vor Augen geführt, in denen mich diese Sprüche eher an den Rand der Verzweiflung gebracht haben, als mir Trost zu spenden oder mich zu positivem Denken zu animieren.
Verharmlosung von Schmerz
Ganz ehrlich: Solche Sprüche vermitteln in meinen Augen, dass komplexe, schwierige Situationen immer auf einfache Weise gelöst werden (können).
Wie frustrierend ist es, wenn ich mich in einer Phase befinde, in der alles auf mich einstürmt, es mir die Seele buchstäblich vor Schmerz zerreißt, dass meine Gefühle oder Probleme offensichtlich nicht ernst genommen werden?
Schlimmer ist grad nur noch „Kopf hoch, das wird schon.“
Ja, das wird schon, wenn man hingefallen ist und sich ein Knie aufgeschlagen hat.
Aber nicht, wenn eine Beziehung auseinanderbricht, man Geldsorgen ohne Ende oder eine medizinische Diagnose bekommen hat, die vielleicht keinen ganz so guten Ausgang haben könnte.
Viele weitere Situationen fallen mir ein.
Unrealistische Erwartungen
Die Aussage „Am Ende wird alles gut“ setzt doch ganz klar eine ideale Lösung voraus, die vielleicht aber gar nicht in Sicht ist. Oder auch nie eintreten wird. Wer kann denn in die Zukunft schauen? Ja, klar, mit dem Tod wird alles gut, zumindest für den Toten, wenn man nicht ans Jenseits glaubt.
Aber in der Zeit davor erzeugt das doch unglaublichen Druck in mir, meine Wahrnehmung zu verleugnen und ruft gleichzeitig das Gefühl hervor, dass ich in der Zwischenzeit „versage“. Weil ich mir zu viele Gedanken mache.
Und weil im Hintergrund ja eh jemand an der Superlösung bastelt.
Fehlende Empathie
Oft kommt mir der Gedanke, dass Menschen solche Aussagen nutzen, um Gespräche über Schmerz oder Schwierigkeiten abzukürzen, anstatt wirklich zuzuhören. Das kann sich wie eine Abwehrhaltung anfühlen und den Eindruck erwecken, dass mein Leid nicht gewürdigt wird. Vielleicht wollen und können manche Menschen sich damit auch nicht beschäftigen, das wäre gut verständlich und nachvollziehbar.
Dennoch: „Lass mich damit in Ruhe“ ist der Gedanke, der meinen Rücken hinaufkriecht und sich in meinem Kopf festsetzt.
Kontrollverlust
Legen diese Sprüche nicht nahe, dass Dinge „von allein“ besser werden? Bearbeitet von der Übermacht im Hintergrund wie oben schon erwähnt?
Und widerspricht das nicht dem logischen Wunsch oder auch der Möglichkeit, selbst aktiv an Lösungen zu arbeiten? Nehme ich nicht bei Kopfschmerzen auch ein Aspirin oder unterziehe mich bei Krebs eine Chemotherapie?
Wenn ich schon nach konkreten Wegen suche, mit meinen Problemen umzugehen, können solche Aussagen wirklich entmutigend sein und meine Bemühungen ad absurdum führen.
Zynismus
Wer – wie ein Freund von mir – einen Hirntumor und dementsprechend mit schwierigen Umständen zu kämpfen hat, deren Ausgang ungewiss ist, oder wer bei Situationen in seinem Leben nicht unbedingt immer eine positive Wende erlebt, kann mit solchen Sprüchen schlicht nichts anfangen, im Gegenteil.
Da erscheinen diese dann wie leere Phrasen, die keine Verbindung zur Realität haben. Zynisch eben.
Und die Perspektive?
Aussagen wie „Alles wird gut“ lassen die Zeitspanne, in der das passieren soll, doch völlig offen.
Wenn ich mich in einer akuten Krise befinde, erscheint es mir unerträglich, auf ein unbestimmtes „Ende“ zu warten. Immer zu denken „ja, am Ende …“.
Was meint der- oder diejenige mit „am Ende“?
Den Tod?
Soll ich also darauf warten, weil dann alles supi ist?
Wie bescheuert bitte ist diese Aussage in Bezug auf jeglichen Zeithorizont?
Trigger durch Ungeduld oder Hoffnung
Wenn ich mich gerade in einem tiefen Loch der Hoffnungslosigkeit oder des Schmerzes gefangen fühle, wirken solche Sprüche wie ein Vorwurf auf mich, nicht genug Geduld oder Glauben zu haben. „Komm, stell dich nicht so an …“
Reaktanz
Ich fühle mich richtig getriggert, wenn ich das Gefühl habe, „belehrt“ oder in meiner Wahrnehmung korrigiert zu werden, besonders durch Phrasen, die wie universelle Wahrheiten wirken, aber meine eigene Erfahrung und meine Lebensumstände gar nicht berücksichtigen.
Denn wie viel der Seele, Erfahrungen und des Leids dringt wirklich nach außen zu denen vor, die phrasieren?
Wie sehr können sie beurteilen, was gerade in mir passiert, wie gut kennen sie Zusammenhänge und Vorgeschichten?
In meinem Jahresrückblick habe ich kurz von Resilienz geschrieben. Ja, diese erwirbt man sich zwangsläufig, wenn man an Lebensereignissen nicht zerbricht oder gerade so mit einem blauen Auge davonkommt. Aber genau das ist eben nicht immer so. Weil es nicht für jede oder jeden immer gut ausgeht. Das gehört zum Leben dazu.
Mit meinen beiden Lieblingsphrasen macht man es nicht ein klitzekleines bisschen besser.
Ähnlich schlimm finde ich übrigens den Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden.“
Nee, tut sie nicht. Man muss dazu nur die überlebenden Angehörigen von Terroristenopfern fragen …
Möchtest du mehr zu Fragen und Antworten lesen, die zumindest überdenkenswert sind? Diesen Artikel zu „Alles gut …“ meiner Blogger-Freundin Silke Geissen finde ich dazu besonders passend.
Und du?
Gehörst du zu denjenigen, die solche Sprüche loslassen? Warum? In welchen Situationen findest du gar nichts dabei? Und hast du schon einmal festgestellt, dass es dem Betroffenen wirklich geholfen hat? Dass er sich daraufhin einfach hingesetzt und frohen Mutes auf das „Ende“ gewartet hat?
Ohne zu versuchen, sich selbst aus dem Schlamassel zu ziehen?
Mich würde deine ehrliche Meinung interessieren. Unten in den Kommentaren ist genug Platz.
PS: Mein Beitragsbild ist ausnahmsweise mit KI erstellt, die Aufgabe war „Erstelle mir ein Bild, so wie du dir das Paradies vorstellst“ Denn bekanntermaßen war da auch überhaupt nicht alles gut. 😉
Wer schreibt hier?
Ich bin Ulrike, Wahlwienerin mit deutschem Migrationshintergrund und auf dem Weg in meinen schönsten Lebensabschnitt bzw. schon mittendrin. Als Bloggerin, Texterin, Copywriterin, Korrekturleserin, Community-Managerin, Hobby-Fotografin und -Gärtnerin reise ich gerne, bin aber genauso gerne auch daheim, wo ich es mir immer recht gemütlich mache und mein Leben genieße.
Alles gut – eine neue Phrase, die ich häufig höre. Ohne das „wird“. Eine Phrase, die darauf abzielt, das Gegenüber sofort zum Verstummen zu bringen. Die mich daher und wegen ihrer Falschheit höllisch nervt!
Wen triggert denn wohl das Wort Schaaaaadeeeeee?? 😁
Sehr schön geschrieben. Danke. Erstens bin ich froh, dass ich nicht die einzige bin, die von einer Phrase oder einem Wort getriggert werde und zweitens kann ich dir da einfach nur zustimmen. Ich glaube, oft ist es ein nicht wissen, was darauf sagen oder eine Überforderung mit dem gehörten. Und alles was unangenehm ist, soll mal schnell weggehen. So nach demMotto: „Alles wird gut“